Kinderwunschberatung ist doch nur was für Frauen! Schließlich sind auch fast überall nur Frauen abgebildet. Männer brauchen doch keine Beratung. Sie geben doch „nur“ Sperma ab. Diese spannenden Stereotypen und Klischees beleuchte ich in diesem Artikel etwas näher.
Dabei geht es ganz konkret um folgende Fragen:
Irgendwie sind Unterstützungsangebote in der Kinderwunschbehandlung stark auf Frauen ausgerichtet – zumindest scheint es so. Auf Flyern, Plakaten oder Webseiten sind meist Frauen in Gesprächen mit Frauen abgebildet. Aber gibt es denn keine Themen in der Kinderwunschbehandlung, bei denen Männer sich Unterstützung wünschen?
Die Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch bei einem heterosexuellen Paar liegen gleich häufig beim Mann und bei der Frau. Jedoch gibt es gewisse Themen in der Kinderwunschbehandlung, die einen Partner persönlich mehr betreffen können als den anderen. Ein Beispiel hierfür ist das Spermiogramm. Nehmen wir an, es zeigt Einschränkungen oder bestätigt eine ungünstige Verdachtsdiagnose. Dies (be)trifft den Mann sehr wahrscheinlich anders, als wenn die Partnerin beispielsweise an Endometriose leidet – obwohl beides die Erfüllung des Kinderwunsches erschwert.
Denn wie stark ein unerfüllter Kinderwunsch oder eine Kinderwunschbehandlung als belastend empfunden wird, hängt nicht davon ab, ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Die wahrgenommene Belastung hängt davon ab, was der Kinderwunsch für mich bedeutet und welche Bewältigungsstile ich anwende. Hier gibt es allerdings tendenziell Unterschiede: Aus anderen Lebensbereichen wissen wir, dass Männer und Frauen unterschiedliche Bewältigungsstile bevorzugen können. Das wird dann oft damit verwechselt, dass Männer und Frauen eine Situation als unterschiedlich belastend erleben würden. Dies ist aber nicht grundsätzlich so – manchmal gehen Männer und Frauen nur anders mit einer Situation um. Deswegen können Männer und Frauen auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder in verschiedenen Situationen einen Beratungswunsch haben.
Warum scheinen Beratungsangebote nur an Frauen gerichtet zu sein?
Auch wenn unterschiedliche Diagnosen eine unterschiedliche Betroffenheit auslösen können, finden die meisten Behandlungsschritte am Körper der Frau statt:
Kontrolluntersuchungen, Hormonstatusuntersuchungen, Eizellentnahme, Transfers, Folgetermine bei ausbleibender Schwangerschaft oder wenn sich eine Schwangerschaft nicht gesund entwickelt – all diese Termine können ohne die Frau nicht stattfinden. Männer hingegen können die Frau meist nur zu den Terminen unterstützend begleiten. Das kann ein Grund dafür sein, dass Beratungsangebote in Bildsprache und Design oft eher auf Frauen ausgerichtet sind. Denn die „Behandlungslast“ liegt stärker bei den Frauen und ist somit ungleich verteilt. Das soll im Umkehrschluss aber nicht bedeuten, dass Männer „nur“ ihr Sperma abgeben, emotional nicht involviert sind und deswegen keine Beratungsangebote brauchen oder wollen.
Gerade wenn die Ursache beim Mann liegt, kann das selbstverständlich den Wunsch nach Beratung hervorrufen. Insbesondere, wenn es um Diagnosen wie Azoospermie oder Kryptozoospermie geht. Dann sind im Ejakulat keine (bei Azoospermie) oder so gut wie keine (bei Kryptozoospermie) Spermien vorhanden. Solche Diagnosen erschüttern die Lebensplanung und das Selbstbild oft sehr stark. Denn sie bedeuten für den Mann, dass er nicht ohne medizinische Unterstützung Kinder zeugen kann.
Solche Diagnosen können unterschiedliche Belastungen für den betroffenen Mann und seine Partnerin auslösen. So könnte die Frau, die medizinisch problemlos ein Kind bekommen könnte, sich vielleicht schon früh mit der Frage nach einer Samenspenderbehandlung auseinandersetzen. Beim Mann kann jedoch ein ganz anderes Thema im Vordergrund stehen: zum Beispiel, ob er sich mit dieser Diagnose überhaupt noch als „richtiger“ Mann fühlt. Das bedeutet nicht, dass er als Mann eine Samenspende kategorisch ablehnt. Es könnte aber sein, dass er sich mit dem Thema „Samenspende“ erst dann auseinandersetzen kann, wenn er für sich einen guten Bewältigungsstil im Umgang mit seiner Diagnose gefunden hat.
Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass Männer und Frauen oft unterschiedlich mit einer Situation umgehen, um sie zu bewältigen. Dabei werden unterschiedliche Fragen aufgeworfen, die in einer Beratung besprochen werden können.
Warum gibt es dann keine Beratungsangebote speziell für Männer?
Auf Kinderwunsch fokussierte Beratungsfachkräfte werden nicht auf Männer- oder Frauenthemen spezialisiert ausgebildet, sondern für verschiedene Situationen, in denen Menschen in einer Kinderwunschbehandlung sich beraten lassen möchten. Auch wenn die Beratungsangebote oft auf Frauen ausgerichtet erscheinen, können Sie sicher sein, dass eine Beratungsfachkraft Sie auch in „Männerthemen“ beraten kann. Es kann jedoch sein, dass eine Beratungsfachkraft mehr Erfahrung in bestimmten Themenbereichen hat. Wenn dies für Sie wichtig ist, empfehle ich Ihnen, dies in einem Kennenlerngespräch mit der Beratungsfachkraft offen anzusprechen. Denn für eine gute Beratung ist Vertrauen eine wichtige Grundlage. Und um das zu schaffen, sollten Ihre Fragen im Vorfeld beantwortet werden.
Hier finden Sie die Antworten auf die Leitfragen nochmal in Kurzform:
In diesem Artikel wurden verschiedene Aspekte von „Männerthemen“ in der Kinderwunschberatung beleuchtet. Eine Beratungsfachkraft kann Sie zu verschiedenen Themen und in unterschiedlichen Situationen einer Kinderwunschbehandlung beraten. Natürlich kann es sein, dass sie bei dem einen Thema mehr Erfahrung hat als bei einem anderen. Eigene Erfahrung kann beim Verstehen und Nachvollziehen von Situationen oder Sorgen helfen, aber ist keine Voraussetzung dafür. Probieren Sie doch einfach mal ein Beratungsangebot aus und machen Sie sich selbst ein Bild!
Autorin: Sally Schulze (Kooperationspartnerin Kinderwunsch & Hormonzentrum Frankfurt)
Sally Schulze ist Diplom-Psychologin, approbierte Psychotherapeutin und zertifizierte BKiD-Kinderwunschberaterin. Mit dem psychologischen Onlineprogramm MentalStark begleitet und unterstützt sie Menschen in der Kinderwunschzeit und auch noch in den ersten Monaten einer Schwangerschaft.